Ich möchte hier einen Teil eines Berichtes zitieren der in der neuesten Ausgabe des Musikmagazins Visions abgedruckt worden ist.
Ausgabe: Visions Februar 2002
Thema: Scheitern als Chance - ein Leben nach VIVA Zwei
Verfasser: Michael Lohrmann
(...) Die immense Beschleunigungskraft des Musikfernsehens verlangte der Tonträgerindustrie jahrelang einen mehrstimmigen Freudengesang ab. Das Frohlocken darüber, dass man dank MTVIVA mit nicht immer talentiertem Produkt binnen von kurzer Zeit einen guten Schnitt machen konnte, bestimmte das Denken und Handeln der zum Erfolg verdammten A&R-Leute. Das Zischen böser Zungen, die das Prinzip der Gewinnoptimierung durch substanzlose Fast-Food-Kapellen gerne mit dem Bildnis "aus Scheisse Geld machen" anprangerten, konnte die Tonträgerindustrie dabei lange Zeit guten Gewissens überhören - schließlich geht es bei wirtschaftlichen Überlegungen selten um Eitelkeiten, aber immer um Zahlen. So bedurfte es erst des technischen Fortschritts, bis die vollmundigen Lobpreisungen auf die Mechanismen des Musikfernsehens erstmals zögerlich in Frage gestellt wurden. Denn seit MP3 oder CD-Brenner den nahezu kostenlosen Zugang zur Musik für nahezu jedermann ermöglichen, stehen die Plattenfirmen vor dem akuten Problem, das besonders der Umsatz mit gesichtslosen, austauschbaren Produkt sowie Hit-Compilations, die allen Unrat zusammenfassen, gewaltig stagniert. Copy Kills Music? Schon möglich, aber muss man davon ausgehen, dass eine zum oberflächlichen Konsum von Musik erzogene Zielgruppe Skrupel hat, einem gesichtslosen Künstler der Tantiemen zu berauben und damit auch der Industrie ein Schnippchen zu schlagen? Kann man einer nicht überschwänglich an Musik interessierten Klientel wirklich die Absicht verdenken, das Geld lieber für nicht reproduzierbare Konsum- und Imageprodukte anstatt für ein bißchen Tralala auszugeben, nicht zuletzt, weil in rasanten Zeiten wie diesen die heißen Reime von gestern sowieso kein Schwein mehr interessieren? Sind Raubkopien nicht auch der Ausdruck von einem Verlust der Wertschätzung, weil jegliche Art von Musik eh 24 Stunden am Tag verfügbar ist? So oder so - es gleicht dem furiosen Finale einer Tragikkomödie, dass sich die Einführung der CD Jahre später in Kombination mit dem steigen Verfall der Wertschätzung für Musik zu einer Stolperfalle für einen ganzen Wirtschaftszweig entwickelt hat.
Das unüberhörbare Wehklagen der Plattenfirmen wird aber vermutlich erst in ein paar Jahren einsetzen, wenn das bequeme wie lukrative Geschäft mit dem Back-Katalog von etablierten Künstlern keine Grundlage mehr hat und der Vergänglichkeit Tribut gezollt wird. Es ist ja nicht zwingend davon auszugehen, dass die jungen Wilden in 20 Jahren nach alten CD´s von Aqua oder Right Said Fred gieren werden, so wie es zur Zeit immer noch bei den Klassikern von etlichen gestandenen Band der Fall ist, die übrigens allesamt die Möglichkeit hatten, sich langsam zu etablieren. So bleibt das REsümee, das das Musikfernsehen mit seiner rasanten Bilderflut gründlich dazu beigetragen hat, dass die rosigen Zeiten des Pop-Zirkus ebenso passé sind wie der letzte große Sommerhit. An dieser Grundstimmung kann auch der temporäre Erfolg von Hupfdohlen wie No Angels oder Bro´sis nicht viel ändern, deren Initiator RTL 2 mit der fuchsigen Idee ´wir basteln jetzt vor Zuschauern Popstars´ ohne Zweifel neue Maßstäbe setzt. Der Ansatz, das Casting einer Band gleich öffentlich zu machen, damit die, die den Unsinn später kaufen sollen, gleich von Anfang an dabei sind, ist gleichwohl dreist wie genial - der nächste Schritt ist dann wohl der, dass die Zuschauer selbst Bands klonen dürfen. Da auf lange Sicht aber auch das Popstars-Konzept nicht funktionieren wird, bleibt die Erkenntnis, dass die Tonträgerindustrie vielleicht besser beraten wäre, ihr Hauptaugenmerk nicht dem schnellen Geld durch musikalische One Night-Stands zu widmen, und stattdessen häufiger die Bereitschaft zu zeigen, den längeren Weg in Kauf zu nehmen und Künstler sorgfältig aufzubauen. Aber hinterher ist man bekanntlich ja immer schlauer. Oder zumindest meistens. (...)
Dieser Bericht ist vorher als auch nachher noch ellenlang, ich glaube aber das selbst der kleine Teil den ich hier gepostet habe bereits manchen zu langwierig ist um ihn ganz zu lesen.
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Ma braucht a großes Herz - und a schnölle Faust - nix aunderes mocht a de Legenden aus
Es gibt vielerlei Arten von Lärm. Aber nur eine Stille
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